Sonntag, 7. Oktober 2012

Indien: Holy Shit



Wie soll man da Anfangen. Häufig wurden wir schon gefragt, warum wir überhaupt nach Indien wollen, wenn wir doch so viel Respekt davor haben. Jetzt wo ich da bin, weiß ich wieder warum. Kontroversere Eindrücke bietet sonst wahrscheinlich kaum ein Land.
Man hat ja vieles gehört und gelesen, positives und negatives, aber man muss schon hier gewesen sein, um wenigstens ein kleines Bild davon zu bekommen.

Indien ist ein Land voller Reizüberflutung, in jeder Hinsicht. Nachdem unsere Augen und Ohren schon seit längerem überbeansprucht werden, meldet sich nun auch das Riechorgan und bittet das Nervensysten häufig, auf Mundatmung umzustellen, denn der wohlriechende Geruch von Curry oder Patchouli-Räucherstäbchen wird leider viel zu oft durch Abgase, beißendem Putzmittel(?)-Gestank, aber vor allem von Fäkalgeruch übertünscht. Der vertraute Geruch der heiligen Streetcow-Kuhfladen ist dabei noch am erträglichsten.




Den Anfang fanden wir in Delhi. Die Erwartungen an das Land sowas von in den Keller geschraubt (ist ja bekanntlich besser als andersrum) ging`s nach Neu-Delhi Innenstadt. Der Verkehr ist für uns etwa mit dem in Kairo vergleichbar. Laut, verhupt, undurchschaubar und voll, allerdings viel viel mehr Fahrräder und Rikschas. Wichtigste Regel: in Indien ist gar nichts logisch. Mit dieser Weisheit machen wir uns nach der Ankunft auf den Weg, die ersten Eindrücke zu erhaschen. Für das Abwimmeln der Schlepper, Verkäufer, Taxi-, Rikscha-, und TukTukfahrer bin ich immer zuständig, das hab ich einst in Thailand und auch in Kairo ja bereits erfolgreich gelernt. Dem Dani fällt es immer noch schwer, weshalb mich dann auch alle gleich immer für eine Oberfurie halten wenn ich da eingreife. Ist mir aber wurscht. Kommentare wie „ah she`s Boss“ oder „after you‘re smiling you look much better“ – haha - sind hier an der Tagesordnung. Jedem das, was er kann. Dani ist der Finanzminister, ich die Verteidigungsministerin ;)





Dadurch, dass wir unsere Reise in muslimischen Ländern begonnen haben, ist man auch bereits gewöhnt, dass man als westliche Frau ständig angestarrt und mitunter auch angefasst wird. Das ist teilweise ziemlich anstrengend und unangenehm. Kurz bevor ich also dieses Indien schon in die unterste Schublade stecken will, zauberte es eine farbenfrohe Parade nach der anderen aus dem Zylinder, angefangen in Delhi, fortgesetzt in Agra (der Stadt,wo das Taj-Mahal steht). Da das Vertrauensverhältnis zur Bevölkerung bisher recht ambivalent war, tat es gut, die Inder mal völlig losgelöst von den Touribereichen, wild feiernd und uns gegenüber sehr aufgeschlossen, zu erleben. In Agra spielten sich beim alljährlichen Fest zu Ehren vom Elefantengott sogar ganz skurrile Szenen ab. Da wird wie verrückt mit Farbenpuder um sich geworfen, zu Indertechno abgedanced, gefeiert und gelacht. Als hätten die Glücksbärchis mit dem Regenbogen um sich geschossen, wird alles noch bunter als es eh schon ist. Plötzlich bemerken die indischen Jungs , dass der Dani wohl erheitert vor sich hin wippt und trauen sich dann, erst verschüchtert, dann mit immer enthusiastischeren Bewegungen an ihnran . Ehe ich mich versehe, steht eine Traube von ca. 40 Männern und Jungs um Dani rum und tanzt mit ihm. So wie im Allgemeinen auch zu Hause sind die Menschen auch hier von Danis unkonventionellen Tanzkünsten sehr angetan. Die Meute wird immer größer und muss erst von einem Ordner aufgelöst werden, da er nicht mehr für die Sicherheit des Untergrunds garantieren kann.
 





In Agra lernten wir dann, nach allen Vorsichtsmaßnahmen bzgl. zu vermeidender Margen-Darm Beschwerden, das wundervolle indische Essen kennen. Und das ist mal echt `ne Wucht. Besonders die Lassis sind super, und können Dani über die nun schon wochenlange Puddingabstinenz hinwegtrösten.

Yum Yum Food


Blue Lassi Shop in Varansi - innen hängt ein UN-Zertifikat für den besten Lassi weltweit ;-)
 

Weiter südlich, in Varanasi, mussten wir aber schon wieder mehrmals am Tag das ein oder andere Auge, den Mund oder die Nase zudrücken, oder gleich riesige Scheuklappen aufzusetzen, um nicht die Welt in Frage zu stellen. Die heiligste Stadt der Hindus, direkt am Ganges gelegen, ist vollgestopft von Menschen und genau so sieht`s da auch aus. Dreck wo man nur hinsieht. Dazu eine unglaublich schwüle Hitze in den kaum 2 Meter breiten Gassen und ständig Stromausfälle, was uns kaum schlafen lässt. Auch hier ist man wieder kurz davor, diese Stadt und dieses Land zu verfluchen. Dann sieht man aber die Menschen in bunten Gewändern, die im Ganges baden und Kerzen aufs Wasser ablassen, man trinkt einen Banane-Schoko-Kokusnuss-Lassi, der so lecker schmeckt, dass man Joghurt zu seiner Hauptnahrungsquelle macht und man sieht einen Hindi-Film im Kino, den man komplett versteht (weil die Hauptrolle taubstumm ist ;-) – Barfi!) und bei dem am Ende ein kleiner Junge den Dani auf den Kopf küsst, und man ist wieder mit allem versöhnt. Und so geht das ständig hier. Den krassen, niederschmetternden Eindrücken folgen wunderschöne Momente, die einem das Herz zum Schmelzen bringen.











Unsere letzte Station ist Amritsar. Schon in Delhi am Flughafen wurden wir mit einer indischen Herzlichkeit überschüttet, die mich noch drei Tage später fürchterlich rührte. Wir lernten einen netten indischen Herrn aus Hamburg kennen, der mit seinen Kindern in die indische Heimat flog, um seine Familie zu besuchen. Er bot uns in allen erdenklichen Möglichkeiten seine Hilfe an, ganz gleich ob in Indien oder Deutschland. Das war der Vorgeschmack für ein doch weitaus entspannteres, vertrauensvolleres Indien, wie wir es hier im hohen Norden vorfanden. Der goldene Tempel, der den Mittelpunkt der Sikhs, einer aufgeschlossen religiösen Gemeinschafft, darstellt, versetzte uns in ein meditatives Wohlgefühl. Die Menschen sind offen und kommen auf uns zu, ohne etwas verkaufen oderhaben zu wollen – außer vielleicht ein gemeinsames Foto :-)


Immer wieder Fototermine - wir fühlen uns wie Bollywoodstars


Indien war mir anfangs etwas unheimlich. Zu Beginn dachte ich noch „OK, das stehst du irgendwie durch, hat ja keiner behauptet dass das ein Zuckerschlecken wird“. Aber diese Einstellung, hat sich doch in der kurzen Zeit radikal verändert. Ohne Zweifel muss man sich ganz dolle rein finden in dieses vollkommen andere Land, aber dann ist es doch auf eine irgendwie andere Weise doch ganz entzückend. Und ich glaube, wenn man sein Herz nicht von vorherein verschließt, und den unglaublich dominierenden Unrat, vor allem in Delhi und Varanasi, mal kurz bei Seite lässt, hat es doch den weitaus wertvolleren zweiten Blick verdient.

2 Kommentare:

  1. Konnte ich gut nachfühlen, weil meine "Voreinstellung" wohl ähnlich ist wie Eure war - deshalb steht das Land allerdings auch (noch) nicht auf meiner Liste, da gibt es dann doch viele andere Länder, in die ich erstmal lieber reise. Aber danke für diesen Einblick. ;)

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